Arno Frank, Seemann vom Siebener

Eine Leseempfehlung für die Badesaison. Erzählt wird ein „wolkenloser Spätsommersehnsuchtstag“ (S. 54) im Freibad in Ottersweiler, ein Fantasieort in der Pfalz, aus verschiedenen Perspektiven. Die sehr interessanten und unterschiedlichen Charaktere haben alle ihr persönliches Päckchen zu tragen. Die Gemeinsamkeit, die sie miteinander verbindet, ist das Freibad, ein Ort, der ihren Lebensweg bestimmt.

Wir lernen den in die Jahre gekommenen Bademeister Kiontke kennen. Er arbeitet sehr viele Jahre, und nun sein letztes Jahr, im Freibad, in dem es, “mit kosmetischen Abstrichen, noch immer so aussieht, wie (…)1982″. (S. 65) Seit vor zwei Jahren ein Jugendlicher ums Leben kam, der eines Herbstnachts, als kein Wasser mehr im Becken war, vom Siebenmeterturm sprang, macht er sich Vorwürfe.

Renate, von der Kionkte denkt, dass sie wenigstens einmal in der Saison lächeln könnte, kassiert den Eintritt im Schwimmbad.  Sie kennt jeden im Ort und befragt gerne die Besucher, wenn sie bei ihrem Kreuzworträtsel nicht weiter weiß. An das  Rauchverbot mag sie sich nicht halten. Und wenn sie schwimmen könnte, das wär schon schön. An Kionkte findet sie „zwei, vier, acht Sachen“ (S. 17), die sie an ihm mag.

Isobel, deren Mann das Freibad entworfen hat, schwimmt jeden Morgen ihre acht Bahnen. Danach sitzt sie unter der Linde, unter der sie früher schon mit ihrem Mann saß. Sie lebt in ihren Erinnerungen, die inzwischen unkontrolliert hereinbrechen. „Sollte sie sich in eine wunderliche Alte verwandeln?“ (S. 73)

Lennart, berühmter Fotograf und Weltenbummler, kommt zurück in die Provinz Ottersweiler, da sein ehemaliger Freund Max beerdigt wird. Ob er aber zur Beerdigung geht, weiß er noch nicht. Erstmal geht er ins Freibad, das für ihn voller Erinnerungen steckt. „Die schlichte Seligkeit. Solche Orte gibt es sonst nirgendwo sonst auf der Welt, denkt er.“ (S. 82 )

Josefine, die Frau von Max, geht am Tag seiner Beerdigung ins Freibad, was bei einigen für Verwunderung sorgt.  „Ihre Ehe war wie ein Kühlschrank geworden, dessen Gefrierfach nicht ganz richtig schließt.“ (S.198) Auch Josefine hat viele Erinnerungen ans Freibad. In ihrer Jugend hat sie dort viel Zeit mit Max und Lennart verbracht. Sie waren immer ein Dreiergespann, bis Lennart ihr – unter der Linde im Freibad – ein Fotoalbum gezeigt hat.

Dann gibt es noch Sergej, der im Kiosk des Freibads arbeitet und immer einen Witz auf Lager hat. Und Melanie, Erzieherin im Kindergarten, die mit den Kindern im Freibad ist.

Alle diese Charaktere werden in der dritten Person erzählt.

Doch dann gibt es noch eine Ich-Erzählerin: Die Schülerin der 9. Klasse war vor einiger Zeit in der Psychiatrischen Klinik. An dem erzählten letzten Tag der Sommerferien rasiert sie sich eine Glatze und geht seit Langem mal wieder unter Leute: Gemeinsam mit ihrem älteren Bruder verbringt sie den Tag im Freibad. Durch die andere Erzählperspektive wird bereits deutlich, dass das Mädchen im Roman eine besondere Rolle innehat. Mit ihr beginnt das erste und endet das letzte Kapitel.

Heute mache ich den Seemann, und ich mache ihn vom Siebener.“ (S. 101) „Der Seemann ist der schönste aller Sprünge. Weil er so schlicht wirkt.(…) Im Grunde ist es ein simpler Kopfsprung, nur mit den Armen hinter dem Rücken.“ (S. 101 f)

Ein Buch, das ich sehr empfehle. Es ist absolut vielseitig, was die Themen betrifft, ohne überladen zu sein. Es ist humorvoll und leicht und steckt doch voller Tiefgang. Am Ende des Romans spitzt sich die Stimmung im Freibad, was spannend geschrieben ist.  Die Charaktere sind ausdrucksstark, sehr gut und einfühlsam geschildert. Aufbau und Schreibweise des Buches gefallen mir sehr.

Arno Frank hat mir einen schönen Tag im Freibad verschafft. Gedanklich lag ich im Schatten unter der Linde und habe das Geschehen und die Charaktere beobachtet, habe mir Pommes und ein „Flutschfinger“ (S. 142)- Eis bei Sergej geholt, der mich mit einem Witz zu Lachen brachte. Zum Lachen brachte mich auch der Papagei von Kiontke. Doch am Ende war mir dann doch nicht mehr zum Lachen zumute.

Gedanken von Josefine:

Das Freibad , denkt Josefine, ist wirklich ein seltsamer Ort. Alles was draußen gilt, scheint hier drinnen seine Dringlichkeit zu verlieren. Das Gefühl kennt sie sonst nur aus Museen und Kirchen, oder von der Kirmes. Hier kommt noch die schwere Süße dazu, dass muss die Sonne sein. Wie Urlaub in der Kindheit, in Italien oder Spanien, später mit Max am Strand von Carrapateira, dazu das unwirkliche Glitzern der Sonne auf dem Wasser. Fehlt nur noch das herbe Frittenfett. Ist wohl noch zu früh. Ein Ort für Ertüchtigung und Müßiggang gleichermaßen.“ (S. 70)

Arno Frank, Seemann vom Siebener, Tropen, ET 18.3.2023, 240 Seiten

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