Astrid H. Roemer: Gebrochen-Weiß

Aus dem Niederländischen von Bettina Bach

Lesehighlight!

Paramaribo in den 1960er Jahren. In der ehemaligen niederländischen Kolonie Suriname in Südamerika, in der sich Sprachen und Religionen, Hautfarben und Ethnien mischen, leben „in einer Welt, die Männer in jeder Hinsicht bevorzugt“ die Frauen der Familie Vanta: Großmutter Bee und Mutter Louise mit ihren drei Töchtern Imker, Babs, Heli und dem Sohn Audi, die sie alleine groß zieht. Mutter Louise, selbst Lehrerin, möchte für ihre Kinder ein gutes Leben. „Meine Töchter sollen mindestens eine Lehrbefähigung haben für die Vorschule!“ (S. 114) Als die älteste Tochter Heli ein Verhältnis mit dem verheiraten Derik hat, hält sie es für das Beste, sie nach Utrecht, Niederlande zu schicken. Später macht sie sich Vorwürfe und fragt sich, ob sie richtig entschieden hat. „Niemand geht zurück: Nach einer so langen und teuren Flugreise nach Holland, da gibt es kein Zurück!“ (S. 90)

Auch Louises Tochter Imker verlässt das Haus. Sie zieht zur Großmutter Bee, der es zunehmend schlechter geht und pflegt sie. Zwischen Enkelin und Großmutter herrscht eine liebevolle Beziehung und Großmutter Bee lässt Imker immer mehr an ihrer Vergangenheit teilhaben, die bis in Zeit der Sklaverei zurückgeht. Die Anwesenheit von Imker tut ihr gut, denn sie vermisst ihre Kinder. Zwei ihrer Sohne sind, genau wie Heli, in den Niederlanden; Lieblingstochter Laura wurde vor vielen Jahren in einem Trakt für Geisteskranke zwangseingewiesen; Tochter Ethel wurde von Ehemann Anton, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, ins Ausland gebracht.

Die Autorin schreibt kraftvoll und sinnlich, poetisch und authentisch, besonders und grandios eigenwillig von starken Frauen, deren Leben und Schicksalen,  ihren Wünschen und Träumen. Es geht um Liebe und Tod, Familie und Trennung, Heimat und Verlust; um familiäre Ausgrenzung, sexuelle Gewalt, dem Wunsch nach Selbstbestimmung, um eine enge Verbundenheit unter Geschwistern, die alle unterschiedliche Väter haben. Es geht um die Suche nach einer eigenen, auch sexuellen Identität,

nach der eigenen Geschichte, der Herkunft und dem Platz in einer von Gewalt geprägten Gesellschaft und dem Traum von einem besseren Leben.

Es gibt sechs Erzählstimmen: Großmutter Bee, Mutter Louise und ihre Kinder Imker, Babs, Audi (alle in der dritten Person erzählt) und Heli (Ich-Erzählerin), deren Handlungsort Utrecht, Niederlande, ist.

Ein Buch, das es im Sommer 2023 auf den ersten Platz der Litprom–Bestenliste geschafft hat, das meinen Horizont erweitert hat und das ich absolut empfehlen kann. Ich bin sehr gespannt, auf das im März auf Deutsch erscheinende Buch der Autorin „Vom Wahnsinn einer Frau“.

Der Titel „Gebrochen-Weiß“ meint u.a. die verschiedenen Hautfarben der Familienmitglieder. „Gebrochen-Weiß, das ist die Farbe von Bittermandeln und Süßmandeln, wenn du die dunkelbraune Haut abschälst (…)“ (S. 39)

Astrid H. Roemer wurde in Paramaribo (Suriname) geboren. 2016 wurde sie mit dem niederländischen P. C.-Hooft-Preis ausgezeichnet und bekam 2021 als erste surinamische Schriftstellerin den Prijs der Niederlandse letteren, den bedeutendsten Literaturpreis des niederländischen Sprachraums.

Astrid H. Roemer: Gebrochen-Weiß, Residenz Verlag, Erscheinungstermin 14.3.2023, 416 Seiten

unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar

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