Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
„Hab ich nicht die Kirschen für deine extravagante Tarte gekauft? „S. 42
Für alle, die gerne kurze Geschichten mögen, dies ist eine sehr kurze und eine sehr gute dazu.
Cathal bittet seine Freundin Sabine bei ihm zu wohnen und ihn zu heiraten. Sie zieht mit ihren, wie er findet, viel zu vielen Sachen bei ihm ein, und dann „zu viel Wirklichkeit“. Zur Hochzeit kommt es nicht.
Geschildert wird eine gescheiterte Beziehung aus der Sicht eines Mannes. Es ist der 29. Juli in Dublin, der Tag, der eigentlich der Tag der Eheschließung sein sollte. Doch nun öffnet Cathal den Champagner allein und lässt den Korken „mit einem erschöpften kleinen Knall aus der Flasche“ springen. Die Erzählung beginnt behutsam, als ein ereignisarmer Tag, ein Tag im Leben von Cathal, ein Tag wie jeder andere, spitzt sich dann aber zu und zeigt, was Cathal für ein Mensch ist, insbesondere wie er über Frauen denkt und wieso es zur Trennung kam.
„Das war ein Teil des Problems: dass sie nicht hören und gut die Hälfte der Dinge auf ihre Weise tun wollte.“ S. 35
„Das war das Problem mit Frauen, denen die Liebe abhandenkommt: Der Schleier romantischer Gefühle fällt von ihren Augen, und sie schauen dich an und können in dir lesen.“ S. 41
Die Schlüsselszene sind die Kirschen für 6 Euro, die Cathal bezahlt, aus denen Sabine eine Tart Clafouts zubereitet, die an den Rändern verbrannt und in der Mitte nicht durchgebacken ist. Den Preis hält er ihr vor, was zwischen beiden eine Debatte über Frauenfeindlichkeit auslöst.
Ein schmales Buch in sehr schöner Aufmachung (Leineneinband) in klarer Schreibweise und sprachlich großartig, über Misogynie, patriarchalisches System, vererbte Verhaltensmuster, insbesondere die Erinnerung an einen Vorfall aus früheren Jahren, die zeigt, wie Cathals Vater seine Frau, Cathals Mutter behandelt hat: „Falls ein Teil von ihm sich fragen wollte, wie er sich wohl entwickelt hätte, wäre sein Vater ein anderer Typ Mann gewesen und hätte nicht gelacht, so unterdrückte Cathal den Gedanken.“ S. 49
LESEEMPFEHLUNG
Claire Keegan: REICHLICH SPÄT, Steidl Verlag, 2024, 64 Seiten
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