Der Umzug in ein Altenheim ist ein radikaler Einschnitt im Leben eines Menschen. Es ist der letzte Wohnort, der Ort, an dem man sterben wird. Die Mutter Eribons fühlt sich nicht bereit für diesen großen Schritt. Doch da es nicht anders geht, unterwirft sie sich der Macht der Umstände und zieht mit 87 Jahren in ein Pflegeheim. Getrennt von ihrem früheren Leben verschlechtert sich der körperliche und psychische Zustand Eribons Mutter rapide. Sie findet ihr eingeschränktes Leben unerträglich, will nicht mehr essen, trinken, sprechen und stirbt letztendlich – nach nur sieben Wochen – am Verlust ihres Lebenswillens.
Der plötzliche Tod der Mutter ist Ausgangspunkt für dieses Buch über ihr Leben, über das Altern und das Sterben. Wie ist es, wenn man sich von der Gesundheit und Freiheit verabschieden, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche beiseiteschieben, von nun an, ein Leben unter Fremden in einer erzwungenen Gemeinschaft leben muss, nicht mehr selbst über die freie Zeit verfügen kann, sondern sich an die der Einrichtung geltenden Norm anzupassen hat? Diesen Themen widmet sich der Autor. Er schreibt über Hilfsbedürftigkeit im Alter, darüber, was es bedeutet zu altern. Er beleuchtet das Leben seiner Mutter, die ein unglückliches Leben an der Seite eines tobsüchtigen Ehemannes führte, über ihr Leben als Arbeiterin am Fließband einer Glasfabrik. Er schreibt über seine Rolle als Sohn, seine Distanz zu seiner Familie, über soziale Herkunft und Identität, über sein Entfernen aus der Welt der Arbeiterklasse, über die Kluft zwischen Klassenverhältnissen, über sein schlechtes Gewissen seiner Mutter gegenüber. Er macht auf die Situation des Gesundheitswesen und die strukturellen Probleme aufmerksam und verleiht den Menschen, die es nicht mehr können, eine Stimme. Neben der Beleuchtung des Lebens seiner Mutter und dem autobiografischen Schreiben finden sich zugleich soziologische Analysen, Bezugnahmen auf Philosophie und Literatur und Reflektionen des Autors.
Ein sehr wichtiges Buch – ergreifend, intensiv, gedankenreich.
Die Büchergilde-Ausgabe mit dem zarten Covermotiv, dem geprägten, hellen Leineneinband und dem in einem warmen Braunton gehaltenen Vorsatzpapier gehört für mich zu den ganz besonders schönen der Büchergilde.
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Didier Eribon, geboren 1953 in Reims, ist ein französischer Soziologe, Autor und Philosoph. Sein im Original 2009 erschienenes Buch Rückkehr nach Reims machte ihn 2016 auch im deutschsprachigen Raum berühmt.
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Die Übersetzerin Sonja Finck, geboren 1978 in Moers, arbeitet als literarische Übersetzerin. Sie überträgt unter anderem Annie Ernaux ins Deutsche. 2019 erhielt sie den Eugen-Helmlé -Übersetzerpreis. Sie lebt in Berlin und Gatineau (Kanada).
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Kooperation mit der Büchergilde Gutenberg