Lesehighlight
Ein zeitkritischer Roman über die Mutterrolle und die Zerbrechlichkeit von Lebensentwürfen; über das Gefühl, das eigene Leben verpasst zu haben; über das Friedenschließen mit der Vergangenheit und das Einlassen auf neue Lebensentwürfe.
Zwei Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen, Emma (25 J) und ihre Mutter (48 J), suchen Halt im Leben. Doch aufgrund ihrer schwierigen Beziehung zueinander, ist jede für sich mit ihren Gedanken.
Emma fühlt sich wie eine „festgeschraubte Marionette in einer Wirklichkeit, die keinen Spielraum zur Veränderung lässt.“ (S. 83). Alle denken, sie werde eines Tages ihren Freund Georg, in dessen Familie sie bereits fest integriert ist, heiraten und mit ihm Kinder bekommen. Doch ein kurzer Ausreißer aus ihrem strukturierten, bereits geplanten Leben, zeigt ihr, dass es auch anders geht: „Mit mehr Verzweigungen im Lebensweg.“ (S. 83) Emma „denkt, dass die Zeit eilt und sie Entscheidungen treffen muss, um mit dem Leben Schritt zu halten. Sie hat Angst, etwas zu verpassen, wenn sie das nicht tut.“ (S. 182)
Emmas Mutter hat sich in ihrem eigenen Irrgarten aus Zukunftsplänen verlaufen (S. 114) Obwohl sich all ihre Lebenspläne (Heirat, Kind, Job, Haus mit Garten) erfüllt haben, ist ihr, als wäre sie gescheitert. „Ihr Leben bestand darin, die Träume abzuarbeiten, die sie als junges Mädchen gehabt hatte, doch dabei hat sie wohl übersehen, dass es im Leben um mehr geht als um die Umsetzung von Plänen und Vorstellungen.“ (S. 91) Seit der Geburt ihrer Tochter ist sie depressiv und konnte ihr deshalb nicht die Mutter sein, die sie gern gewesen wäre, weshalb sie sich Vorwürfe macht. Für ihre Tochter wünscht sie sich, dass sie selbst herausfindet, wie sie ihr Leben gestalten möchte und sich nicht immer nur nach anderen richtet, so wie sie es getan hat. (S. 170) Und auch sie selbst, möchte gern endlich einen neuen Weg gehen und fragt sich, ob es dafür noch nicht zu spät ist. „Mit achtundvierzig Jahren hat man seinen Lebensweg mehr als nur eingeschlagen, man hat ihn schon ausgetreten und gepflastert, aber vielleicht gibt es ja noch Abzweigungen und Nischen, die man vorher nicht entdeckt hat und die zu einem ganz neuen Weg führen, mitten ins Dickicht, vielleicht auf einen Holzweg, den man sich erst einmal freistampfen muss.“ S. 89
Ein Buch, das mich sehr begeistert hat. Die junge Autorin schreibt tiefsinnig, klug und berührend. Die Entwicklung der Figuren, die Tiefgründigkeit, die Sprache, dass auch das Schreiben thematisiert wird, gefällt mir sehr und auch die Einführungen in die Kapitel (z.B. eine Frage, Erinnerung, Beobachtung) sind fantastisch: „Eine Frage: Tausende Wege gibt es, unser Leben zu leben. Wenn man einen dieser Wege nicht eingeschlagen hat – wieso denkt man dann, man hätte etwas verpasst?“( S. 195)
Ein Buch „Für alle, die Angst haben, etwas zu verpassen.“ (S. 5), die tiefgründige Romane und schöne Sprache mögen. Für mich ein absolutes Herzensbuch. Ich freue mich jetzt schon auf weitere Bücher der jungen Schriftstellerin. Ich bin mir sicher, sie wird noch viele großartige Werke schreiben.
Hannah Oppolzer: VERPASST, Braumüller Verlag, 2023, 208 Seiten
unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar