Hilde Rød-Larsen: Diamantnächte

Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein

„Jetzt bin ich bereit, jetzt ergreife ich die Gelegenheit, obwohl ich nach wie vor nicht weiß, was der Anfang dieser Erzählung ist, und auch das Ende nicht kenne.“ (S. 14)

In diesem Roman lernen wir Agneta kennen. Sie lebt in Oslo,  ist  48 Jahre, Übersetzerin, Mutter einer 17-jähigen Tochter, einmal geschieden, zum zweiten Mal verheiratet. An einem Herbstmorgen fährt ihr Mann ins Ausland und kommt erst an Weihnachten wieder zurück. Während dieser Zeit findet sie Ruhe für sich und begibt sich aus die Suche nach der Ursache für ihre körperlichen Symptome, dem starken Haarausfall, ihre Kraftlosigkeit, ihr nächtliches Erwachen und Lähmungsgefühl. Agneta will „mit aller Kraft den Nebel wegpusten, damit die Konturen hervortreten.“ (S. 29), „denn da ist etwas, „(…) was in ihr festsitzt und dafür sorgt, dass auch sie festsitzt (…)“ (S. 111)

Erzählt wird aus der Zeit ihres Studiums, in der sie ihre Freundin Jenny und deren Vater Christoph kennenlernt. Christoph ist Psychotherapeut und jemand, der sie fragt, wie es ihr geht. Endlich ist da jemand, der SIE sieht, so denkt sie zumindest, während sie gemeinsam mit ihm nackt auf der Couch seines Praxisraums liegt. „Du brauchst wohl jemanden, der auf dich aufpasst. (…) Ich möchte nur, dass es dir gut geht. (…) Aber du weißt, das muss zwischen uns bleiben (…)“ (S. 148)

Das Buch enthält drei Kapitel. Kapitel 1 wird in der Ich-Perspektive geschildert. Doch die Ich-Erzählerin stellt fest, dass diese Betrachtungsweise nicht funktioniert: „NEIN, SO DRINGE ICH NICHT dorthin vor, wo ich hineinwill, zu dem Auslöser, warum ich dies schreibe; ich stehe im Weg. Ich muss verschwinden.“ (S. 96). Kapitel 2 wird deshalb in der dritten Person geschrieben, Namen und Ort des Geschehens werden verändert, um Distanz zu erzielen. In Kapitel drei geht es dann wieder zurück zur Ich-Form. Der Perspektivwechsel innerhalb des Romans hat mir sehr gefallen, ebenso der Schreibstil. Ich war sofort drin im Roman, in dem es um den Wunsch geht, gesehen zu werden, um Täuschung und Selbstbetrug, um psychologische Verletzlichkeit, toxische Beziehungen und die allmähliche Erkenntnis von Wahrheit und Lügen. Für mich ein Lesehighlight.

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Zitate:

WAS MARIANNE NOCH NICHT WEIß: Wenn die kleine Lampe in ihrem Innern die Welt zum Funkeln bringt wie Diamanten, muss sie vorsichtig versuchen, das Licht zu dämpfen, und sei es nur ein bisschen, aber sie darf auf keinen Fall versuchen, es immer weiter aufzudrehen, weiter und weiter und weiter, bis die Birne durchbrennt. Dann wird es sich anfühlen, als würde es nie wieder hell werden, als wäre die Lampe für immer zerstört. Die vorige Nacht war eine solche Diamantnacht gewesen.“ (S. 102)

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IN ALL DIESEN JAHREN, fünfzehn waren es, hatte ich stets die Vorstellung, was auch passierte – ich hätte ja immer C. Wenn mir die Wirklichkeit entglitt, könnte er mich wieder darin verankern, denn das war sein Spezialgebiet, und einst hatte er die Not hinter meinen Augen gesehen, die sonst niemandem aufgefallen war.“ (S. 218)

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„ABER WARUM C, warum jetzt?

Wegen des Unbehagens. Wegen des Schwindels.

Wegen dem, was ich bin, wenn nicht meine Geschichte über mich, Schicht um Schicht von Gesichtern, mondbleich und rindendunkel. Denn als an einem schmutzig grauen Sonntag in diesem Frühjahr die Haare zu fallen begannen, fielen nach und nach auch die Gesichter. (…)“ (S. 229)

Hilde Rød-Larsen: Diamantnächte, park x ullstein, Erscheinungsdatum 19.10.2023, 240 Seiten

unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar

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