Im Gespräch mit Lea Catrina

In ihrem inzwischen dritten Roman Waldbad widmet sich die Schweizer Schriftstellerin Lea Catrina unter anderem den Themen ländliche Gentrifizierung, dem Kosmos Kurort und soziale Ungleichheit.

Marie Falou sprach mit der Autorin über ihren aktuellen Roman, übers Schreiben und zukünftige Projekte.

Marie Falou: Liebe Lea, das Thema ländliche Gentrifizierung ist ein globales Problem. Ich wohne in der Uckermark und auch hier ist es so, dass sich insbesondere Berliner:innen gern in der ländlichen Umgebung, wie z.B. die Uckermark, ein Wochenenddomizil kaufen und bauen. Es freut mich sehr, dass du das Thema in einem Roman thematisiert hast. Was war die Initialidee für Waldbad?

Lea Catrina: Da sind viele Dinge zusammengekommen. Ein wichtiger Moment, der mich zu der Geschichte inspiriert hat, war ein Besuch des Observatoriums in San Francisco, als ich noch dort lebte. Ich saß mit Freunden zusammen in einer Präsentation, einer digitalen Fahrt durch das Universum, und der Moderator begann die Präsentation mit dem Satz: «Wir sind nicht das Zentrum des Universums, wir sind nur diejenigen, die die Karte zeichnen». Da bekam ich Gänsehaut. Und immer, wenn das passiert, weiß ich, dass ich etwas daraus machen muss.

Marie Falou: Dein Buch ist aus der Perspektive Luans, dem Hauptprotagosten und Ich-Erzähler des Romans, geschrieben, für den du, wie ich finde, die passende und sehr überzeugende Sprache gefunden hast.  War es eine Schwierigkeit oder war dir seine Sprache schnell klar?

Lea Catrina: Das ist eine interessante Frage, denn ich kann erst mit dem Schreiben beginnen, wenn ich das Gefühl habe, eine Stimme zu hören, klar und deutlich. Bei Luan hörte ich die recht schnell und bin ihr dann einfach gefolgt, selbst wenn ich manchmal gerne den Rotstift angesetzt hätte. Ich wusste, ich muss das Buch schnell schreiben und darf nicht zu viel daran rumkorrigieren, sonst geht dieser Ton verloren.

Marie Falou: Neben der Sichtweise Luans als einem der Einwohner Waldbads erfahren die Lesenden aber auch, aus welchen Gründen die Wohnungseigentümer*innen gern nach Waldbad kommen, dass also auch sie ihre Beweggründe haben. War es dir wichtig, das Dilemma aufzuzeigen ohne eine Wertung vorzunehmen?  

Lea Catrina: Interpretation, Wertung, wie eine Geschichte verstanden wird, darüber habe ich keine Kontrolle und das ist gut so. Ich glaube, ich wollte es da einfach wie Luan halten, mit offenen Augen durch die Welt gehen und zeigen, was ist. Da kann jeder selbst urteilen, aber hinsehen ist wichtig.

Marie Falou: Luan ist eine sehr interessante Figur.  In seinem nicht gerade einfachen Leben verschafft er sich seine persönlichen Abenteuer, z.B. in dem er nachts mit Pfeil und Boden durch den Wald geht und das Zielen auf Bäume übt. Wie kam es zu dieser Idee? Ich bin ja froh, dass nichts passiert ist, dass er keinen zufällig daherkommenden Menschen oder ein Tier getroffen hat. (lacht)

Lea Catrina: Er kam mir vor, wie jemand, der nie schläft. Jemand, der eigentlich eine große Abenteuerlust hat, und eine enorme Neugier, wie er auch selbst sagt. Woher das mit dem Pfeil und Bogen kam, kann ich gar nicht genau sagen. Aber ich denke, es passt zu ihm. Es ist eine weitere Sache, die ihn in die Natur zieht, etwas, wo er sich alleine und für sich herausfordern kann. Ähnlich wie beim Skaten. Und es hat etwas Wildes. Ich sah in ihm immer etwas Ungezähmtes, einen Typen, der den Käfig sieht und nicht weiß, ob er drinnen oder draußen steht.

Marie Falou: Dein Roman hat auch etwas Zauberhaftes, Mysteriöses an sich. Da ist Luans Begeisterung für das Universum, der erfinderische Vater, aber vor allem das auftretende Licht über dem Wald, das viel Interpretationsspielraum eröffnet. Ich war schon lange nicht mehr in den Bergen, zuletzt in meiner Kindheit, erinnere mich aber, dass der Sternenhimmel besonders schön zu anzusehen war. Sogar Glückwürmchen habe ich gesehen und seitdem nie wieder. Wie kam  es zum Thema Licht? Hast du auch ein besonderes Interesse am Universum?

Lea Catrina: Licht ist tatsächlich etwas, das mich fasziniert. Auch in meinem letzten Buch ‹‹MY BOY›› spielte es lustigerweise eine zentrale Rolle, wie mir erst jetzt selbst auffällt. Das Licht in «Waldbad» will ich gar nicht zu sehr analysieren, aber ich denke, es symbolisiert vielleicht das Mögliche oder das Unmögliche, besser gesagt, dass es da draußen Magie gibt und man sie nur finden und die Augen dafür offenhalten muss. Und was die Sterne angeht: Früher hat mir der Blick in den Nachthimmel Angst gemacht, heute staune ich darüber und finde ihn tröstlich. Und klar, in den Bergen sieht man ihn etwas besser als in einer hell erleuchteten Stadt. Das genieße ich sehr.

Marie Falou: Ein sehr interessanter Mix an Charakteren sind auch die Wohnungseigentümer*innen, mit denen du auch viele weitere Themen ansprichst. Überhaupt steckt in deinem Roman sehr viel, ohne überfrachtet zu wirken.

Lea Catrina: Das freut mich sehr. Die Vielschichtigkeit der Menschen ist für mich immer sehr zentral.

Marie Falou: Ein zentrales Thema deines Romans ist die Natur. Was bedeutet es für dich, in der Natur zu sein?

Lea Catrina: Ich bin in den Bergen und dazu noch als Förstertochter und Enkelin eines Imkers und eines Schreiners aufgewachsen. Es ist besonders der Wald, der in meinem Leben immer schon sehr präsent war. Heute gehe ich täglich im Wald spazieren und spüre, wie viel Kraft mir das gibt. Wandern ist weniger mein Ding. Das musste ich als Kind zu oft. (lacht)

Marie Falou : Interessant finde ich auch die Nebenfiguren Johnny und Simon, anhand derer wunderbar die fürsorgliche und liebevolle Art Luans deutlich wird. Wie bist du auf die Idee für diese beiden Figuren gekommen?

Lea Catrina: Die sind einfach aufgetaucht. Simon war plötzlich im Skatepark da und Johnny spürte ich, als Luan den Tannzapfen im Tiefkühler fand.

Marie Falou: Nicht alles in deinem Roman wird auserzählt, vieles bleibt in der Schwebe. Was reizt dich an diesen Dunkelstellen, die ich persönlich sehr mag.

Lea Catrina: Diese Dunkelstellen gibt es im Leben ja auch. Man meint jemanden zu kennen, aber eigentlich spricht man mit vielen Leuten immer wieder über das Gleiche und lässt vielleicht vermeintlich wichtige Aspekte des Lebens komplett weg. Insofern denke ich, kommt es der Wahrheit am nächsten, wenn Luan das Gleiche macht.

Marie Falou: Das Ende des Romans. Es hätte auch ein anderes geben können. Du hast dich für dieses entschieden. Warum?

Lea Catrina: Es fühlte sich richtig an.

Marie Falou : Das Cover deines Romans, die vertikale Spiegelung der Bergwelt, finde ich sehr gelungen und passend. Eine mögliche Assoziation könnte sein, dass Luan´s Welt als Einwohner Waldbads Kopf steht, gar eine verdrehte Welt ist. Hast du das Cover mit ausgewählt oder war es eine reine Verlagsentscheidung?

Lea Catrina: Der Verlag arbeitet mit einer Agentur für Gestaltung zusammen (kulturkonsulat), die jeweils das Manuskript lesen und dann dem Verlag und glücklicherweise auch mir die Covervorschläge schicken. Ich darf mitreden, aber das letzte Wort hat der Verlag. Bisher waren wir uns allerdings immer einig.

Marie Falou: Dein Roman bietet eine gute Diskussionsgrundlage für die Frage, was getan werden kann, damit dieses Dilemma, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Einheimische, künftig nicht mehr gegeben ist. Hast du Ideen?

Lea Catrina: In der Politik gibt es immer wieder Ideen und Vorstöße, um die Situation besser zu machen, allerdings sind die leider oft sehr halbherzig mit Hintertüren für Leute mit Geld – und damit wiederum nicht mit den Menschen im Fokus, die diese Mittel nicht haben. Was die Region betrifft, in der ich zuhause bin, bräuchte es klar mehr bezahlbare Erstwohnungen für Einheimische und strengere Nutzungsregeln für Zweitwohnungen, beispielsweise, dass diese nicht leer stehen dürfen. Aber es ist ein komplexes Problem, das über viele Jahre entstanden ist. Ich denke, es geht darum, zu verhindern, dass Kurorte zum Disneyland für Reiche werden und zumindest zu gewissen Teilen geschützte Wohnorte für Menschen bleiben, die dort arbeiten und ihr Leben verbringen wollen und diese Orte auch schützen und erhalten.

Marie Falou:  Hattest du schon früh den Wunsch zu schreiben? Wann hast du mit dem Schreiben begonnen, immerhin hast du bereits drei weitere Bücher veröffentlicht. Was bedeutet Schreiben für dich?

Lea Catrina: Ich habe Medien studiert und danach zuerst in der Werbung als Texterin, im Marketing verschiedener Unternehmen und auch als Journalistin gearbeitet. Schreiben war also immer schon mein Beruf – nur das Literarische Schreiben habe ich erst so richtig als ca. Dreißigjährige begonnen bzw. ich habe es mir erst dann erlaubt, darauf einen Fokus zu legen und es so richtig zu versuchen. Man muss sich das Literarische Schreiben ja auch leisten können. Bis vor Kurzem hatte ich noch einen Job, mit dem ich das Schreiben finanzieren konnte. Jetzt als Neu-Mama ist die Zeit knapper geworden und ich musste mich entscheiden: Geldjob oder Schreiben. Die Wahl ist erst einmal aufs Schreiben gefallen, mal sehen.

Marie Falou: Du schreibst auch Lyrik, was mich sehr freut. Gibt es einen Lyrikband von dir oder wo lassen sich deine Gedichte finden?

Lea Catrina: Ja, richtig. Ich habe im Bereich der Lyrik aber noch nichts veröffentlicht. Nur einmal habe ich aus meinem Projekt «Dear Jane» öffentlich vorgelesen. Lyrik schreibe ich sehr viel langsamer als Prosa, nur etwa 3 Gedichte pro Jahr. Zudem schreibe ich die immer auf Englisch/Deutsch, da der Lyrikband an meine alte englische Nachbarin Jane adressiert ist. Ich habe auch die Absicht, die Sammlung zu veröffentlichen, wenn sie fertig ist.

Marie Falou: Hast du eine feste Schreibroutine? Wie gliederst du deinen Schreiballtag? Ich finde das immer sehr spannend, gerade bei Frauen mit (kleinen) Kindern.

Lea Catrina: Wenn ich mal einen Schreibtag habe, dann schreibe ich vor allem vormittags. Da habe ich noch am meisten Energie, der Tag ist noch frisch und ich stehe mir noch am wenigsten selbst im Weg. Aber seit ich Mama bin, muss ich dafür das Haus verlassen und irgendwo weg in ein Café gehen, wo ich vergessen darf, dass ich Mama bin, so krass das klingen mag. So richtig vergessen geht ja sowieso nicht, aber zumindest bin ich dann wieder näher bei mir selbst und bei meinem Autorinnen-Ich. Die Schreibzeit ist weniger geworden und auch das Tagträumen, das für mich mindestens genauso wichtig ist wie das Schreiben.

Marie Falou: Welche Schriftsteller*innen liest du gern? Welches Buch hat dich zuletzt beeindruckt?

Lea Catrina: Ich lese fast alles an, lese aber nur wenige Bücher ganz, ehrlich gesagt, obwohl ich das eigentlich ganz furchtbar finde. Zuletzt beeindruckt hat mich die kurze Kostprobe aus «Hermelin auf Bänken» von Patrick Holzapfel, die im Schweizer Literaturclub vorgetragen wurde. Leider ist das Buch aktuell nicht lieferbar und ich hoffe sehr, dass der kleine Verlag es bald in die Läden bringt und das Momentum nicht verpasst. Ich habe es jedenfalls vorbestellt und freue mich sehr darauf.

Marie Falou: Woher nimmst du deine Inspiration ? Was machst du, falls es beim Schreiben gerade nicht weitergehen sollte?

Lea Catrina: Inspiration finde ich überall. Und wenn es beim Schreiben nicht weitergeht, weiß ich, dass ich irgendwo falsch abgebogen bin. Dann gehe ich zurück und suche im Text nach Hinweisen für den richtigen Weg.

Marie Falou: Schreibst du Tagebuch?

Lea Catrina: Nein, sollte ich wahrscheinlich.

Marie Falou: Wie gehst du bei einem konkreten Schreibprojekt vor? Schreibst du gleich auf dem PC/Laptop oder erst in Notizbüchern etc.?

Lea Catrina: Ich habe zuerst immer ein Notizbuch, das ich mit Ideen, Wörtern, Fragmenten, Bildern etc. fülle. Wenn erste Bilder im Kopf entstehen, mache ich zudem ein Moodboard, suche Bilder zusammen und mache so eine Art Collage, die dann der Hintergrund meines Laptops wird. Wenn das Notizbuch voll ist und das Moodboard sich rund anfühlt, tauche ich ein und beginne zu schreiben.

Marie Falou: Sind bereits weitere Schreibprojekte in Planung? Arbeitest du bereits an etwas Neuem? Ich freue mich jetzt schon drauf und werde es ganz sicher lesen.

Lea Catrina: Immer. Mehr will ich noch nicht verraten. Und danke, deine Vorfreude bedeutet mir viel.

Marie Falou: Liebe Lea, ich danke dir sehr für das Gespräch und wünsche dir auch für deine künftigen Schreibprojekte viel Erfolg.

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September 2024

Autorinnenportrait: Fotocredit: Oceana Galmarini

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Lea Catrina: Waldbad, Arisverlag, erschienen am 7. September 2024, 240 Seiten

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Meine Rezension zum Roman: Lea Catrina: WALDBAD – Marie Falou

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