Jane Campbell: Kleine Kratzer

Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell

Kleine Kratzer ist das Debüt der 80-jährigen Autorin. Sie schreibt über 13 Frauen im Alter von 70 aufwärts, deren Geschichten es in sich haben. Ich habe sehr gelacht, war aber auch traurig und nachdenklich beim Lesen der Episoden. Sie sind vielseitig und allesamt besonders, einige auch sehr nahegehend. Sie handeln vom Begehren im Alter, von Erinnerungen an frühere Liebschaften, vom Sterben, übers Altern als Prozess der Enteignung, übers Bedauern, von Enttäuschungen im Leben, über nichtgelebtes Leben, von „einer naiven Hoffnung und den Mut, danach zu greifen.“ (S. 138), vom Alleinsein.

Es geht zum Beispiel um eine Frau, die ihre Katze bürstet und währenddessen daran denkt, wie sie von ihrem ehemaligen Liebhaber gebürstet worden ist;

Wir erfahren von der 86-jährigen Susan, deren Feuer gegenüber der jungen Krankenschwester Miffy entfacht, Gefühle, die sie vorher nie kannte, die „…spürte, wie sich in ihren welken Lenden die Lust regte.“ S. 21;

Von Martha, die „in einem Abladeplatz für Alte“ untergebracht wurde und einen Roboter zur Unterstützung und Gesellschaft bekommt;

Von einer Phantasma-Website, in der alleinstehende Menschen ab 70 eine Haut-an-Haut-Option anklicken können und dann einmal die Woche eine  „absolut erfüllende Begegnung mit einem Phantasma“ erleben (S. 82).

Ein Buch, das ich weiter empfehlen kann und mir gezeigt, wie wichtig es ist, jeden Tag zu genießen, denn „Eines Tages, baby, werden wir alt sein!“ (Julia Engelmann)

Leseempfehlung.

Jane Campbell: Kleine Kratzer, Kjona, Erscheinungstermin 24.7.2023, 192 Seiten

Ausgewählte Zitate:

„Sie können nicht anders, diese traurigen alten Männer mit ihren Erektionsängsten.“ S. 15

Die Lust eines alten Mannes ist abstoßend, aber schlimmer noch ist die Lust einer alten Frau.“ S. 20

„Sie hatte das Gefühl, erst jetzt zu begreifen, was Leben hieß.“ S. 35

„Und sie schauten einander in die Augen und wusste, dass keine von ihnen ihrem Schicksal entrinnen könnte: Denn sie waren natürlich nicht die Ersten, deren Traum unter einem schlechten Stern stand und von Zuneigung, Pflicht und Gewohnheit besiegt werden würde.“ S. 36

…als ich sie (die Katze) so auf die festen, gleichmäßigen Striche reagieren sah, musste ich an mich selbst im Bett mit einem von meinen ehemaligen Liebhabern denken, sah mich den Rücken durchbiegen und fragte mich, ob sie sich hinterher so ähnlich fühlte, wie ich mich immer gefühlt hatte, wenn es vorbei war, also ob sie froh und dankbar war, gebürstet worden zu sein.“ S. 41

„Ich beklage mich nicht; zwischen meinen Beinen ist mir dieser Tage alles willkommen.“ S. 44

„Und auch das ist eine Enteignung: dass man niemanden mehr glücklich macht. Wenn ich früher den Rücken durchbog oder wölbte und lustvoll miaute, erregte das meine Liebhaber, weil es sie ihrer Potenz versicherte. Jetzt habe ich bloß noch meinem Sohn ein paar Zentimeter Gestricktes zu geben. Es ist ein furchtbarer Verlust.“ S. 45

Auch jetzt werde ich wohl geliebt, soll aber zuckersüß und pflegeleicht sein. Und ruhig. Was für ein Schicksal.“ S. 49

Ihr eigener unförmiger Körper war inzwischen ein Graus.“ S. 59

Irgendetwas hatte ihr Licht ausgelöscht. Einst klar und lebendig, war sie nur undeutlich zu sehen gewesen, wie durch Milchglas.“ S. 69

Ich liebe dich, Malik. Du hast mich lebendig gemacht. Der Gedanke an dich hat  mich all die Zeit aufrechterhalten. Im musste zurückkommen, um dich wiederzusehen…“ S. 73

Der Frieden war in Reichweite. Das merkte sie. Sie konnte nach ihm greifen. Wie sonderbar. Nicht, was sie besessen, sondern was sie losgelassen hatte, brachte ihr den Frieden.“ S. 75

…fühlt man sich ein wenig wie ein ausgehungertes Kind, das durchs Schaufenster auf Platten voller üppigen Essens starrt.“ S. 83

Er blieb sieben Stunden lang, und wir liebten uns zweimal. Er war ein junger Mann und machte auch mich jung.“ S. 84

Wäre ich sechzig Jahre jünger gewesen, hätte ich mich schnurstracks an ihn rangemacht.“ S. 110

„Als bedeuteten das erste Auftreten von Falten und eine gewisse Unsicherheit des Gleichgewichts zugleich auch die Auslöschung allen Denkens, allen Sinns, aller Hoffnung, aller Ziele, aller (wie er viel später zu ihr sagte) Leidenschaft.“ S. 132

„Eigenschaften ändern sich nicht, egal, wie sehr der Alterungsprozess ein Gesicht auch prägt.“ S. 160

Wahrscheinlich fehlt mir dazu das Talent, aber vielleicht stelle ich ja fest, dass ich am Ende doch mutig genug bin, es zu versuchen.“ S. 187

unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar

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