Jarka Kubsova: Marschlande

Britta Stoever, 45, ist mit Mann Philipp und den Kindern Mascha und Ben in die Hamburger Vier- und Marschlande gezogen. Ihr Mann ist der Einzige, der im Haus, einem kubistischen Baukörper mit Flachdach, den die Dorfbewohner Eispalast nennen, aufblüht. Britta, die lieber ein Bauernhaus gehabt hätte, scheint nicht anzukommen. „Als ob ihr altes Leben in dieses einfach nicht hineinpassen wollte.“ (S.22) Vieles, was sie in den letzten Jahren immer wieder verdrängt hatte, kommt nun in der Stille und Leere der Marschlande hoch. Ihre wissenschaftliche Karriere an der Universität war mit dem ersten Kind beendet, ab dann hieß es Haushalt, Kinder, Teilzeitstelle. Und mit Mann Phillip gerät sie immer häufiger aneinander.

Während ihrer Spaziergänge durch die Marschlande trifft sie auf Spuren von Abelke Bleken, eine Bäuerin , die tatsächlich um 1580 in den Marschlanden lebte, ihren Hof allein, ohne Mann, führte. Da Abelke nach der Allerheiligenflut den gebrochenen Deich nicht wiederherstellen konnte, was nach dem damaligen Deichrecht ihre Pflicht gewesen wäre, verlor sie Haus und Grundstück, verarmte, wurde als Hexe verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ein erschreckendes Schicksal, das mir sehr nahe ging.

Britta taucht durch Recherchen in Abelkes Leben ein, kommt sich dabei selber näher und trifft für sich eine Entscheidung.   „Die letzten Jahre kamen ihr vor, als wäre sie durch einen langen Tunnel gefahren, vielmehr gerast. Seit einiger Zeit stand sie wieder im Licht, aber sie hatte die Orientierung verloren. Sie hatte sich verändert, sie wusste nur nicht, zu wem oder was. Denn sie war blind und taub geworden während diese Raserei, für Träume, für Ziele, für sich.“ S. 187

„Marschlande“ ist ein Buch, dass ich verschlungen habe. Die Idee, das Thema Hexenverfolgung mit einem Frauenleben der heutigen Zeit miteinander zu verweben, fasziniert mich, deren Umsetzung noch mehr. Die Autorin schafft elegante Sprünge zwischen den Frauenschicksalen, schreibt spannend, einfühlsam, tiefgründig und in einer faszinierenden  Sprache. Mit Britta konnte ich mich sehr gut identifizieren und habe mich oft wiedererkannt. Die Themen Entwicklungsschritte im Feminismus, Wunsch nach Selbstbestimmung der Frauen, die Verbindung von Landenteignungen und Hexenverfolgung, aber auch die Gefahr der sozialen Medien für Jugendliche (Brittas Tochter Mascha stellt Bilder von sich online und wird daraufhin beleidigt) sind sehr gut im Roman verarbeitet.

Für mich ein Lesehighlight. Große Leseempfehlung!

Aus der Folter und den Hinrichtungen, die die Opfer der Hexenprozesse erleiden mussten, lernten andere Frauen, dass sie fügsam und still zu halten hatten, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden.“ Aus dem Nachwort S. 316

Jarka Kubsova: Marschlande, S. FISCHER, Erscheinungstermin 30.8.2023, 320 Seiten

unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar

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