Lea Catrina: WALDBAD

Waldbad, ein fiktiver Ort in den Schweizer Alpen. Hier gibt es Berge, Flüsse, Wald und Seen. Früher kannte hier jeder jeden, der Sommer war ruhig und auch Platz war genügend da. Doch inzwischen ist das anders. Die Menschen haben sich verändert. Immer mehr Städter zieht es hierher, Städter die sich teure Eigentumswohnungen kaufen, in denen sie an Wochenenden oder Feiertagen verweilen.

Für die Einheimischen gestaltet sich die Lebenssituation immer schwieriger, insbesondere für Luan, dem Ich-Erzähler dieses Romans, der seit dreißig Jahren in Waldbad lebt und nie das Bedürfnis hatte, wegzuziehen. „Ich habe schon einiges hinter mir gelassen, so manchem in meinem Leben Adieu gesagt, aber Waldbad würde ich nie verlassen, auch es manchmal schwer ist zu bleiben.“ Um halbwegs über die Runden zu kommen, hat Luan mehrere Jobs, die überwiegende Zeit arbeitet er aber im Waldbader Resort, bestehend aus einem kleinen Hotel und zwei Häusern mit Eigentumswohnungen. Dort ist er der Mann für Alles und hilft, wo er nur kann. Der genügsame und nicht in ein reiches Elternhaus hineingeborene Luan, hat „immer gewusst, dass da kein Platz ist für große Träume, keine Sekunde. Einfach gedacht, so ist es halt und gut ist es trotzdem.“ Aber einen Wunsch hat er: in Waldbad zu bleiben. Denn hier fühlt er, der vom Universum fasziniert ist und gern Astronaut geworden wäre, sich den Sternen am nächsten. Doch das Bleiben in Waldbad wird immer schwieriger, insbesondere als er seine bisherige Bleibe, eine kleine Kellerwohnung, verlassen muss und es keinen bezahlbaren Wohnraum, sondern lediglich Eigentumswohnungen zu Züricher Preisen, gibt.

„Waldbad“ ist ein Gesellschaftsroman, der sehr viele und universale Themen aufgreift, der auf subtile Art politisch ist, der von sozialer Ungleichheit handelt, von ländlicher Gentrifizierung, Kapitalismus, Tourismus und dessen Auswirkungen auf die Einheimischen, von Hürden im Leben und deren Umgang, von Freundschaft, Glück, Zufriedenheit, Dankbarkeit und vom Waldbaden in Waldbad.

Mir gefällt, dass nicht alles auserzählt wird und angenehme Lücken bleiben. Mich fasziniert, die überzeugende Darstellung des Protagonisten Luan, für den die Autorin eine sehr überzeugende, auf ihn zugeschnittene Sprache, einen plaudernden, lockeren, sympathischen Ton, gefunden hat.

Überhaupt ist Luan ein interessanter Charakter: Um sein Leben spannender zu machen, zieht er nachts mit Pfeil und Bogen durch den Wald, genießt die Stille des Waldes, den Blick auf den Sternenhimmel oder übt am Tage mit seinem Skateboard Treflips. Er ist ein Mensch mit Ecken und Kanten, mit Ideen, die selten gut sind und ist neugierig, was ihm Probleme bereiten wird. Aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck, was insbesondere durch den liebevollen Umgang mit seinem kranken Halbbruder Johnny und seinem Freund Simon, der im Rollstuhl sitzt, deutlich wird.

Nicht nur die Darstellung des Protogonisten, sondern auch die Nebenfiguren (Nature Girl, die Schauspielerin Jenny, der Optiker, der Parfümeur, der Schriftsteller Emilio, der Lungenspezialist und die Regisseure Blauenbach) sind interessante Charaktere. Der Roman, der zwar aus der Sicht Luans, eines Einwohners Waldbads geschildert ist, zeigt aber auch, und das gefällt mir ebenfalls sehr, dass die Wohnungseigentümer:innen ihre eigenen Geschichten und Päckchen zu tragen haben und Menschen sind, die aus den unterschiedlichsten Gründen gern nach Waldbad kommen.

Waldbad – außergewöhnlich, fesselnd, berührend, nachdenklich stimmend, diskussionsanregend – ist eine große Leseempfehlung, die schweizer Autorin für mich eine große Entdeckung.

Zitate:

„Ich weiß schon lange, dass Glück nicht so gleichmäßig verteilt wird wie Luft.“ S.10

„Manchmal hat man so ein Gefühl, dass gleich was kommt, das sich nicht mehr rückgängig machen lässt.“ S.61

„Ich hab immer gewusst, dass da kein Platz ist für große Träume, keine Sekunde. Einfach gedacht, so ist es halt und gut ist es trotzdem.“ S. 74

Wenn man bezahlt, darf man doch machen, was man will. (…) Denken so manche.“ S. 117

„Ja, ist doch super: Unter der Woche rettest du die vom Kapitalismus ausgebeuteten Menschen und am Wochenende erholst du dich auf 120 Quadratmetern mit Bodenheizung, Putzfrau und doppeltürigem Kühlschrank. Was will man mehr?“ S. 128

„Alles kann einem genommen werden, Luan. Einfach alles. Besonders Glück.“ S. 135

„Jeder sollte ein Chance haben, auch die Verrückten.“ S. 106

„Man reitet sich in die Scheiße und dann steht man nicht da und denkt, fuck, alles voller Scheiße, sondern man packt sich eine Schaufel und fängt an, das Zeug aus dem Weg zu räumen. Was soll man sonst tun?“ S.197

„Es gibt doch so Orte im Leben, die sind wie Magnete, wollen, dass man da ist und auch da bleibt oder wenigstens wiederkommt. Und dann kommt man wieder, so wie ich jetzt, und dann gehört man doch nicht da hin.“ S. 215

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Lea Catrina: WALDBAD, Arisverlag, Erscheinungstermin 7. September 2024, 240 Seiten

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