Ich bin glücklich, dass dieses Buch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht. Für mich ist es ein Jahreshighlight und ich wünsche mir, es auch auf der Shortlist zu sehen. Martina Hefter schreibt so wunderbar anders, vielschichtig und tiefgründig, lässt Wörter tanzen und berührt. Große Leseempfehlung!
Wir treffen auf Juno und Jupiter. Juno Isabella Flock ist über 50 und freiberufliche Performancekünstlerin. Gemeinsam mit ihrem Partner Jupiter, der im Rollstuhl sitzt und den sie seit vielen Jahren pflegt, wohnt sie in einer ramponierten zweieinhalb Zimmerwohnung in Leipzig. Eine barrierefreie Wohnung können sie sich nicht leisten.
Seit über 15 Jahren geht Juno für Jupiter einkaufen, weil er es selbst nicht mehr kann. Ein echtes Highlight sind für ihn eine Packung Spekulatius im September, die Wildbiene im Insektenhotel. Nie wieder wird sie mit ihm auf die Berge steigen oder ins Meer. Solche Gedanken kommen ihr. Junos Leben ist kein leichtes.
„Jetzt bloß nicht in einen Abgrund fallen, einfach weitermachen, nicht vom Weg abkommen. Festen Plänen folgen, Fahrplänen, Probenplänen, Uhrzeiten. Wie lange würde das eigentlich noch gut gehen?“ S. 201 f.
Wenn Juno nachts wieder nicht schlafen kann, geht sie entweder durch die Straßen und lässt ihren Tränen freien Lauf, beobachtet den Sternenhimmel oder sie chattet auf Instagram mit Love-Scammer. Viele ältere, alleinstehende Frauen fallen auf Love-Scammer herein. Juno nicht, sie dreht den Spieß um. Dann schreibt ihr Benu aus Nigeria. Was für Juno auch mit ihm als Spiel begann, nimmt nun eine Wendung.
Neben diesem Handlungskern gibt es unglaublich viele weitere Themen: Ausbeutung, Gewissensfragen – Krankheit, häusliche Pflege, das Zusammenleben mit einem kranken Partner, das Gefühl auf Hilfe anderer angewiesen zu sein – Einsamkeit, Liebe – Altern – das prekäre Leben von Künstlern – das Leben in Nigeria – griechische Mythologie, Astronomie – gute Menschen, schlechte Menschen – die Kostbarkeit schöner Momente. Das Buch ist also unglaublich vielschichtig, ohne überfrachtet zu sein. Der Roman wirkt trotz vieler ernster Themen leichtfüßig und ist hin und wieder auch witzig .
Juno ist eine Protagonistin, die mir mit ihren Stärken und Schwächen sehr sympathisch ist. Während andere 50-jährige aus der Freien Kunstszene längst aufgehört hatten, arbeitet Juno weiter als Performancekünstlerin. Sie liebt es, auf der Bühne zu stehen, ihre glitzernde Jacke zu tragen, lässt sich ihr erstes Tattoo stechen und kurz danach weitere. Sie kämpft sich durch ihren Alltag, doch beim Tanzen fühlt sie sich, wie eine wehende Birke.
Nach diesem Jahreshighlight möchte ich nun unbedingt mehr von der Autorin lesen und habe mir die Gedichtbände „Es könnte auch schön werden“ sowie „In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen“ vorgemerkt. Liebe Martina Hefter, herzlichen Glückwunsch zur verdienten Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2024!
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Martina Hefter: HEY GUTEN MORGEN, WIE GEHT ES DIR?, Klett-Cotta, ET 13.7.2024, 224 Seiten
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Werbung, Rezensionsexemplar