Res Sigusch: WESENTLICHE BEDÜRFNISSE

Was für ein Debütroman! Raffiniert, klug, außergewöhnlich, in schönen Bildern und mit einem Gespür für ihre Charaktere schreibt Res Sigusch und schreibt sich damit in mein Herz. Ich bin begeistert! Von dem Roman, von Benjamin – Benji Biene – und nicht zu vergessen vom Cover.

In Wesentliche Bedürfnisse lernen wir Benjamin Leiser kennen, der an der Ostsee aufgewachsen und mit 18 Jahren zum Studium in die große Stadt gekommen ist. Sein Vater, ein Fischer, denkt, sein Sohn studiere Tiermedizin, doch Benjamin studiert Kunst. Er wollte schon immer Maler werden. Allerdings bricht er nach kurzer Zeit ab, studiert stattdessen Kunstgeschichte und wird Kunstprofessor.

Nun – Benjamin ist inzwischen 50 – hält er bei der Vernissage seines Freundes Stephan, mit dem er seit 30 Jahren befreundet ist, der noch immer malt und mit seiner Kunst Erfolg hat, die Eröffnungsrede. Beim Betrachten seiner Bilder denkt Benjamin: Das hätte ich auch malen können. Und dann trifft er auf den Studenten Konstantin Mai, der seine Gedanken durcheinanderwirbelt und das Gefühl auslöst, aus großer Höhe zu fallen.

Konstantin, Medienkunststudent im 2. Semester, erinnert ihn stark an sich selbst, als er gerade neu in der Stadt und an der Uni war. Benjamin entwickelt väterliche Gefühle für ihn und wünscht sich, dass Konstantin, dem starke Selbstzweifel plagen, aus Benjamins Fehlern lernt. Für seine nächste Vorlesung, die auch Konstatin besucht, kommt ihm eine Idee, die auch sein eigenes Leben verändern wird.

Der Roman wechselt zwischen Zeiten und Perspektiven, was dem Buch eine enorme Lebendigkeit verleiht. Es ist ein Künstlerroman, der einen kritischen Blick auf den Kunstbetrieb und dem Konzept der universitären Lehre liefert, aber auch ein Wenderoman, denn der Tag des Mauerfalls ist gleichzeitig Benjamin 19. Geburtstag, ein Tag, der sein Leben verändern wird, von dem er sich wünscht, ihn immer wieder zu erleben. Es ist ein Buch über das Leben und seine Wendungen, von Träumen, die vielleicht doch noch nicht zu Ende geträumt sind, von wesentlichen Bedürfnissen, raffiniert, aktuell, klug, kritisch, voller Lebendigkeit und schöner Bilder. Ich freue mich auf mehr von Res Sigusch.

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Zitate:

Vielleicht war er nie wieder so frei wie damals, nein, ganz sicher nicht. Er würde alles geben – seinen Professorentitel, seine Wohnung, hundertmal Sybilla, um diesen einen Tag immer wieder zu erleben, bis er stirbt.“ S. 46

Er hat das Gefühl, nachdenken zu müssen, aber nicht zu wissen, wo er anfangen soll.“ S. 61

Er nimmt die Flasche Jade vom Regalbrett. Sie fühlt sich aufregend voll an. Er spürt ein Zittern im Bauch. Wie lange hat er keine Farbflasche mehr geschüttelt, geöffnet, den dickflüssigen Inhalt auf eine Palette gedrückt?“ S. 53

„Es war keine besonders ruhige Zeit, 89, die Mauer gerade gefallen und noch ein paar andere Dinge kaputt. Außerdem hatte ich das Gefühl, im Studium versaut zu werden. Ich habe nach wenigen Wochen aufgehört zu malen.“ S. 60

Seine Bilder hat er alle im Kopf, könnte sie aus dem Gedächtnis malen. Manche Dinge bleiben ewig lebendig, selbst wenn sie eingeäschert worden sind.“ S. 63

„In seiner Brust staut sich eine Wut auf. Oder sie bricht heraus, war eigentlich immer schon da, hatte sich bloß schlafend gestellt. Ihm steigen Tränen in die Augen, aber nicht weil er traurig ist.“ S. 78

Ich wollte immer Maler werden, aber ich bin es nicht geworden. Ich wollte die klassischen Dinge, Katha: Haus, Familie, Geborgenheit. Und was ist daraus geworden? Er breitet die Arme aus und lacht sie an. Nichts davon.“ S. 121

Es ist noch nicht zu spät, die Dinge in die Hand zu nehmen. Dafür ist es nie zu spät.“ S. 122

Die plötzliche Abwesenheit des schwarzen Lochs, das da ist, seit Uli die Stadt verlassen hat, dieser Schlund, der alles Gute, Freundliche, Warme geschluckt hat und jetzt auf einmal verschlossen ist, als hätte er endlich den richtigen Deckel dafür gefunden – (…) Auf die zweite Hälfte des Lebens. Noch ist nichts entschieden.“ S. 122

Wenn du so weitermachst, wachst du mit fünfzig auf und denkst: Scheiße, hätte ich mal daran geglaubt, dass ich es schaffen kann. Zu scheitern wäre am Ende besser gewesen, als es gar nicht erst zu versuchen.“ S. 133

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Res Sigusch: Wesentliche Bedürfnisse, Berlin Verlag, Erscheinungstermin 1. August 2024, 272 Seiten

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