Sina Scherzant: TAUMELN

An jedem Samstag gehen sie zu acht durch den Wald: Luisa, Inge, Frank, Christina, Enrico, Emma, Amaka und Hartmut. Seit fast zwei Jahren suchen sie die vermisste Hannah, die ältere Schwester von Luisa. Anfangs waren es bedeutend mehr Suchende gewesen, doch dieser Kern ist geblieben.

Neben dem Ziel Hannah zu finden, verbindet die Gruppe – die einander seltsam nahen Fremden – eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle sind in ihren eigenen Leben ins Taumeln geraten. Von dem Taumeln der einzelnen Personen erzählt dieser Roman. Und zwar großartig.

Bereits der Debütroman von Sina Scherzant hat mich begeistert. Auch dieser, ihr zweiter Roman gehört für mich zu den Lesehighlights in diesem Jahr. Die Autorin hat eine ganz eigene, besondere Art zu schreiben, sie geht in die Tiefe, zeichnet ihre Charaktere mit viel Feingefühl , schreibt in schönen Bildern und hat einen Blick für Details. Und da ist immer ein angenehm melancholischer Grundton, der mich sehr anspricht.

Die Charaktere in Taumeln sind durchweg interessant: Luisa (Anfang 20) sehnt sich nach Klarheit, da sie sonst mit ihrer Schwester Hannah nicht abschließen kann. Sie hatte gerade mit dem Studium begonnen, als die traurige Nachricht kam. Ihr Wunsch, dass die Zeit des Studierens die beste Zeit ihres Lebens werden würde, erfüllte sich nicht. Nun wohnt sie wieder im Elternhaus, gemeinsam mit ihrem am Boden zerstörten Vater und fragt sich manchmal abends im Bett, ob sich „PoWi-Boy“ noch an sie erinnert.

Sehr berührend fand ich Inges Schicksal, die erst von ihrem Ehemann und nun von ihrem eigenen Sohn Gewalt erfährt, die nicht zusammenkriegt, dass ein einst so kleines und zerbrechliches Wesen, ihr größtes Glück, nun ihr gegenüber gewältigt ist.

Aber auch Frank ging mir nahe, Frank mit seinem gebrochenem Herzen und Panikattacken, der froh ist, durch die Suchaktion nun samstags eine Aufgabe zu haben und gebraucht zu werden.

Näher beleuchtet werden dann noch Emma und Amaka, die anderen Figuren eher am Rande.

Der Roman beginnt an einem verregneten Samstagnachmittag im Oktober. Es wird November, Dezember, Weihnachten und zum dritten Mal seit Hannahs Verschwinden Frühling. Irgendwann geht es so nicht mehr weiter, sie müssen sich fragen, was sie in diesem Wald wirklich suchen und sich den Herausforderungen ihrer Leben stellen.

Es ist Roman über Schmerz, Verlust, Trauer, Einsamkeit, aber auch über Hoffnungen – tiefgründig, berührend, fesselnd und außergewöhnlich. Lesehighlight.

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Sina Scherzant: Taumeln, park x ullstein, Erscheinungstermin 1. August 2024, 279 Seiten

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