Tanja Schwarz: Vaters Stimme

Große Leseempfehlung für alle, die schöne Sprache mögen!

Nina, 48, lebt getrennt von ihrem Partner Ron. Den gemeinsamen Sohn Lenny, 10,  sieht sie an jedem zweiten Wochenende. „Ich habe Lenny bei Ron zurückgelassen. Dieser Umstand erzeugt in mir ein Geräusch des Berstens und Reißens wie bei einer starken Überdehnung, wahrscheinlich bricht mein Herz in einer ins Endlose gestreckten Zeitlupe.“ S. 9

Als Lenny seinen Opa, Ninas Vater kennenlernen möchte, zu dem sie zuvor keinen Kontakt hatte, entsteht schnell eine Verbindung zwischen ihnen. „… ich sehe zu, wie sich in meinem Inneren Risse schließen. Etwas in mir ist ganz geworden.“ S. 24 „Sie kommt nicht zu spät für mich, diese Vatersprache. Ihr Klang festigt und strafft mich innerlich ebenso wie ein Morgenlauf den Körper.“ S. 221

Nina erfährt aus dem Leben ihres fast 80-jährigen Vaters, von seiner Version über den tragischen Tod seines Sohnes Andi, den Halbbruder, den Nina nie kennengelernt hat. Sie fragt sich, ob sie eine andere geworden wäre, wäre sie mit einem Vater aufgewachsen. „Was macht (…) ein fehlender Vater aus?“ (S. 61) Sie spürt ihren Fragen nach, stellt sich vieles vor, was gewesen sein könnte, was nicht, was passiert wäre, wenn, was nicht. Als sie die Familie von Andi kennenlernt, findet sie eine Antwort für sich.

In dem Buch geht es jedoch nicht allein um das späte Kennenlernen des Vaters. Es geht um sehr vieles mehr. Eingebettet in gesellschaftliche Themen wie die Fahrraddemo Critical Mass, Pandemie, Lockdown, Russisch-Ukrainische Krieg, geht es um auch z.B. um die Gefühle, als Mutter versagt zu haben, um die Schwierigkeiten getrenntlebender Eltern, um Computerspiele bei Jugendlichen, das Alter, die pflegebedürftige Mutter von Nina, um Neuanfänge im Leben: „Ich werde mich auch ein weiteres Mal neu erfinden. (…) Manche Dinge entwickeln sich plötzlich, und ab da ist alles offen.“ S. 281.

Ein sehr gutes Buch. Voller Melancholie und doch mit ganz viel Kraft, erzählt die Autorin tiefgründig und mit sehr viel Feingefühl in einer Sprache, die mich zutiefst beeindruckt hat. Sie schreibt Sätze, die ich mehrmals hintereinander las und auf mich wirken ließ, so schön sind sie.

Tanja Schwarz: Vaters Stimme, hanserblau, Erscheinungstermin 21.8.2023, 336 Seiten

unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar

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