Julja Linhof: Krummes Holz

Der 19-jährige Georg, genannt Jirka, kehrt zurück auf den Hof der Eltern im Krummen Holz. Fünf Jahre war er nicht zu Hause. Dem mehrmaligen Bitten seiner älteren Schwester Malene, ihr auf dem Hof zu helfen, ist er nicht gefolgt. Er konnte nicht. „Ich habe mein einstiges Zuhause ausgesperrt. Irgendwann auch Malene. Ich wollte alles ersticken und mir einreden, dass es nicht existiert, wenn ich keinen Gedanken mehr daran verschwende.“ S. 48

Willkommen wird er nicht geheißen. Malene, die sich allein gelassen fühlt, begegnet ihm kühl, geht ihm aus dem Weg. Oma Agnes, die an Demenz erkrankt ist, erkennt ihn nicht. Sein Vater scheint verschwunden. Allein Leander, der damals immer für ihn da war, mit dem er viele Erinnerungen teilt, spricht mit ihm.

Es sind die Gerüche, die Umgebung, das Haus, die seine Erinnerungen aufwirbeln. Erinnerungen an seine Mutter, die immer mehr in sich verschwand, die starb, als Jirka sieben und die Welt plötzlich nicht mehr in Ordnung war; an Oma Agnes, die von Trost nichts wissen wollte („Weißt du Jirka, über den Tod sollte man nicht allzu lange weinen. Er ist das Einzige was uns allen sicher ist, und daran ist nichts Schlimmes. Daran bemisst sich das Leben.“ S. 67); an die vielen Schläge seines Vaters („Papa. Das Wort hat keine Bedeutung mehr. Ein Sack Scherben, der mir den Rachen aufschneidet.“ S. 98) und an die Einsamkeit, mit der er sich in seinen Kleiderschrank verkroch und am Nachthemd seiner Mutter roch; Das Wiedersehen mit Leander wirft ihn in die Gefühlswelt eines Vierzehnjährigen zurück, die Scham und Wut in ihm auslösen. Und je öfter sie sich nun sehen, fühlt er ein Begehren. „Begehren gegen Angst.“ S. 223

Der Roman springt zwischen den Zeitebenen, damals und heute, was ein aufmerksames Lesen erfordert und mir sehr gut gefallen hat. Auch die zarte und kraftvolle Erzählweise und die vielen schönen Sätze konnten mich begeistern. Zum Ende hin hat mich der Roman allerdings nicht mehr so mitgenommen. Dennoch ein sehr guter Debütroman über die Geschichte einer Familie, in der es keine Liebe gab, über Geschwister, die sich entfremdet haben und über die Bewältigung von Erlebtem.

Erst jetzt merke ich, dass ich gehofft hatte, hier etwas zu finden. Einen Sinn vielleicht. Vielleicht auch nur Trost. Oder ein Zuhause. Und die Schwester, die ich irgendwo zwischen den trockenen Dörfern und dem Internat verloren habe.“ S. 84

Julja Linhof: Krummes Holz, Klett-Cotta, erschienen am 17.2.2024, 272 Seiten

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unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar

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