Ein Buch über die Themen Mutterschaft und Klimakrise, fantastisch geschrieben. Es werden vier Frauenleben dargestellt, die miteinander verstrickt sind:
Eva Lohaus möchte keine eigenen Kinder. Um trotzdem ihre Werte weiterzugeben und Einfluss auf die Gesellschaft von morgen zu haben, ist sie Lehrerin geworden. Nachdem ihr Essay erschienen ist, indem sie äußert, nur noch ein Geburtenstopp könne die Welt retten, und „Das Beste, was Eltern für ihre Kinder tun können, ist, sie gar nicht erst in die Welt zu setzen.“ S. 9, wird sie angefeindet und erhält sogar Morddrohungen. Sie entschließt sich, aufs Land zu ziehen. Dort lernt sie u.a. das Mädchen Josi, die Tochter ihres Nachbars, kennen und gibt ihr Nachhilfe in Mathe. Zwischen ihnen entsteht eine enge Verbundenheit. Evas Sichtweise ist folgende: „Wer mit Kindern zusammenleben wolle, müsse nicht unbedingt eigene bekommen, man könne sich genauso gut um die Kinder von Freunden, Geschwistern oder Nachbarn kümmern.“ S. 144
Sina, Journalistin, und ihr Freund Milo versuchen ein Kind zu bekommen, doch es klappt nicht. Sie begeben sich in die Kinderwunschpraxis. Nachdem Sina Eva Lohaus zum Thema Kinder und Klimakrise interviewt hat, kommen ihr Zweifel und sie fragt sich, ob sie überhaupt schwanger werden möchte. Doch Milo möchte unbedingt Kinder „Jeder will Kinder.(…) Das ist doch der Sinn des Lebens.“ S. 33 Sina über sich: „Ich wäre gern die Frau gewesen, die selbstbewusst gesagt hätte, dass sie einfach keine Kinder will.“ S. 59 „Ich weiß nicht, ob ich mir je sicher sein werde, dass die Entscheidung richtig war. Vielleicht geht das auch gar nicht. Woher soll man das auch wissen? Man hat entweder Kinder, ober man hat keine. Niemand macht beide Erfahrungen.“ S. 163 f.
Sinas Schwester Mona hat 3 Kinder (Benni und die Zwillinge Elle und Tilda). Sie ist sehr erschöpft und sehr müde. „Ich vermisse dieses Gefühl. Sich abkoppeln zu können, in sich selbst zurückzuziehen.“ S. 145 Zusammen mit Sina macht sie Urlaub. „Der Urlaub war meine Idee, war für mich, auch wenn ich es anders verkaufte. Als schwesterliche Fürsorge.“ S. 124 Während des Urlaubs versucht ihr Partner Roman sie mehrmals telefonisch zu erreichen. Doch die Vorstellung mit ihm zu telefonieren, empfindet sie als erdrückend. „Ich behielt das Handy lange in der Hand, betrachtete das Bild, als wäre es ein Rätsel, als müsste ich den Fehler finden.“ S.147
Die namenlose neue Nachbarin, die in Monas Aufgang einzieht, hat vor sechs Jahren ihren Sohn verloren, der jetzt im Alter von Monas Sohn Benni wäre, würde er noch leben. „Natürlich war es meine Schuld. Ich hatte dich zur Welt gebracht. Alles, was dir geschah, war letztlich meine Schuld.“ S. 172 „In den Stunden, in denen du starbst, lag ich neben dir in deinem Bett, dein Kopf auf meiner Brust, meine Wange an deinem Haar. Ich weiß nicht, wie viel du noch verstehen konntest, aber in diesen Stunden erzählte ich dir dein ganzes Leben. Alles, was darin geschehen war, und alles, was noch hätte geschehen sollen.“ S.199
Sie hatte im Sekretariat derselben Schule gearbeitet, an der auch Eva Lohaus unterrichtet hatte. „Keine Kinder zu bekommen erspart Leid. Kurz nach meiner Rückkehr an die Schule veröffentlichte Frau Lohaus (…) ihren Artikel.“ S. 183 „Wann immer sie zum Termin angemeldet war, erfasste mich kurz vorher ein inneres Zittern, (…) es war die Wut.“ S. 184
Ein sehr gutes Buch. Ich mag die Themen, die leichten Verstrickungen, den Aufbau. Die einzelnen Charaktere werden sehr gut dargestellt. Mona und die Nachbarin haben mich ganz besonders berührend. Ich konnte die Erschöpfung von Mona richtig spüren. Doch die traurige Situation der Nachbarin am Ende des Romans hat Monas Situation für mich wieder relativiert.
Leseempfehlung!
Verena Kessler, EVA, Hanser Berlin, ET 20.3.2023, 208 Seiten
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