Erzählungen
Aus dem Norwegischen von Andreas Donat
Nach „Ich habe die Welt noch nicht gesehen“ erscheint heute das zweite Buch der norwegischen Autorin im Karl Rauch Verlag.
In ihren sieben Erzählungen geht es um Einsamkeit, Verlust, Sehnsucht, Trauer. Ich habe sie zweimal gelesen und werde es noch ein weiteres Mal tun. Die Texte stellen Ansprüche an die Lesenden, sie brauchen Zeit, um zu wirken, um sich zu entfalten. Die subtile Sprache der Autorin bietet Raum für Interpretationen, was mir gefallen auch, genau wie die sinnliche, bildhafte, geheimnisvolle Schreibweise, die eleganten Sprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die interessanten Charaktere, Thomas und Inez, sind zwei Figuren, die mehrmals wiederkehren.
Die Inhalte sind vielfältig. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem Innersten, den Kindheitstagen, dem Wunsch nach Individualität, den Wunsch gesehen zu werden, um die Spuren der Kindheit, Widerstände in zwischenmenschlichen Beziehungen, vom Aufwachsen mit „alleinerziehenden Versorgern und kleinen Geschwistern“ S. 65, um die Suche nach der inneren Freiheit, um Unterwerfungen, Ängste, um den Nobelpreisträger für Literatur Harry Martinson, um die Frage von Kunst und Nachahmung/Urheberschaft.
Sehr berührend fand ich die Erzählung „Kleiner Bruder“, in dem es um den Bruder Martin, den Jüngsten der Geschwister geht, der in einer Reihe von Pflegefamilien gelebt hat, von denen er weglief. Und es geht um seine Schwester Inez, die sich einen schwarzen Punkt übers Bett malte und sich vorstellte, „er wäre ein Tunnel und sie stiege in ihn hinein, durch ihn hindurch, hinaus.“ (S. 18), hinaus aus der Welt der Mutter mit ihrem Gesicht ohne Gnade und ihrer sporadischen Liebhaber. Thomas und Inez sind die einzigen der Geschwister, die mitten im Leben standen und es als einzige der Geschwister in die Arbeitswelt geschafft hatten. Doch die Vergangenheit blieb in ihnen „Das blutige Gefühl im Bauch, das sie in sich getragen hatte, immer, das Gefühl, alles sei nur gelogen, nur Betrug und nie etwas anderes gewesen als Betrug. Denn sie waren niemand, keine Menschen, taten nur so als ob, sowohl Martin als auch sie.“ (S. 24)
„Keine Heiligen“ ist eine weitere besondere Ausgabe aus dem besonderen Verlag Karl Rauch.
Leseempfehlung!
Roskva Koritzinsky erhielt für ihr erstes Buch 2013 den Aschehoug-Debütpreis.
Andreas Donut hat die Erzählungen „Keine Heiligen“ fabelhaft übersetzt, was sicher kein Leichtes war.
Roskva Koritzinsky: Keine Heiligen, Karl Rauch Verlag, Erscheinungstermin 11.9.2023, 120 Seiten
Unbezahlte Werbung, Rezensionsexemplar